Scorpio’s Garden | Temporäre Kunsthalle


Exkursion

Hängende Neonröhrenbündel, Kombinationen von Zaunvarianten, eine Rampe ohne Ziel – die Kunsthalle weiß offensichtlich auch im zweiten Jahr ihres befristeten Daseins auf eine minimalistische Weise Konventionen zu finden, mit denen es sich zu brechen lohnt. Nachdem wir uns draußen noch vergewissern mussten, dass es sich bei einer Installation von Bettina Pousttchi namens „Echo“ – dem rundum plakatierten Motiv der Fassade des Palastes der Republik – um einen zynischen Fake handelte, betreten wir mit diesem ersten, milde erstaunten Eindruck den großen weißen Innenraum. Schnell wird klar, dass Ausstellungsraum und -objekte hier in gemeinsamen Kontext und Dialog gestellt werden.

25.09.2009 – 15.11.2009 / Besucht am 12. November.

Zugang und Kontext

Messen wir die Ausstellung an einer allgemeinen Definition, hat sich Kuratorenneuling und die Dänin Kirstine Roepstorff, von Haus aus collagierende Medienkünstlerin in Berlin, bei der Zusammenstellung der Kunstwerke nicht nur an die Spielregeln gehalten – nämlich Kunst in einer Galerieräumlichkeit sicht- und begehbar zu machen – sondern darüber hinaus auch bewusst den Ort und die mit ihm verbundene Geschichte und Gegenwart in den Gesamtkontext der Ausstellung einbezogen. Wenn nicht gar zum Thema selbst gemacht, worauf wir mit etwas Fantasie schließen können, wenn wir aus dem Ausstellungstitel „Scorpio’s Garden“ auf die Verbindung des Sternzeichens Skorpion, als Symbol für Auflösung und Erneuerung, mit dem metaphorischen Gartencharakter der urbanen Landschaft Berlins und der Gründung der Stadt als auch dem Fall der Mauer, deren zeitliche Verortung wiederum in das Sternbild Skorpion fällt, schließen. Ich sehe diese Verschlüsselung aber als unkritisch, zumal die Auflösung im Innern schon bereitliegt, in zweisprachiger Form eines Infoblattes samt Künstlerprofilen und Übersichtskarte. Somit erscheint der Titel eher als symbolischer Zaunpfahl, mit dem die konzeptionelle Dichte der Raum-Zeit-Werk-Komposition herbeigewunken wird, was ich als beinahe eleganten Schachzug würdige. Zumindest will Roepstorff hier tatsächlich verstanden werden.

Konzeptionelle Einordnung

Diese inhaltliche Vorbetrachtung ist nötig, um sich der Gesamtgestaltung des Ausstellungsraumes kritisch widmen zu können, denn anhand dieser lässt sich die Umsetzung auf konzeptionelle Entscheidungen zurückführen – die es hier an jeder Einzelheit gegeben haben muss. Betrachten wir beispielweise den schlicht weißen Innenraum im Bezug zur plakatierten Fassade, dann erschließt sich uns, dass wir es hierbei nicht einfach mit einer galerietypischen Hintergrundneutralisierung zugunsten des Werkes zu tun haben. Roepstorff stellt in Zusammenarbeit mit der kuratorischen Managerin Dr. Angela Rosenberg die lokale künstlerische Gegenwart nicht einfach in Form eines Gartens aus über 30 aktuellen Beispielen der Berliner Kunstszene dar, sondern verweist mit blankem grauen Estrich, Neonlichtbeleuchtung, weiß gestrichenen Wänden, Geländern, Rampe, und Deckenkonstruktion auf das fehlende kulturelle Fundament und Rückrat dieser jungen Kunstszene, die darum zwangsläufig mit ihrer politischen Vergangenheit in Kontext gesetzt, nein, umhüllt werden muss. Dahingehend erklärt sich auch, warum diese Momentaufnahme des Berliner Zeitgeistes in keiner anderen als der Berliner Kunsthalle hätte stattfinden können, die selbst wie ein verdrängender Fremdkörper wirkt und inszeniert wurde.

Komposition und Lesart

Roepstorff weicht schließlich also doch enorm vom klassischen Ausstellungsgedanken ab, indem sie sich als inszenierende Kuratorin einer im Grunde wenig zurückhaltenden Handschrift bedient.  Sie verzichtet darauf, die Werke in irgendeiner Weise zu beschriften, wir entnehmen alles dem Gartenführer bzw. Infoblatt. Wir werden zu einer neuen Lesart eingeladen, nämlich die Kunst in ihrer Zusammenstellung und dem Raumkontext zu betrachten, statt sie der üblichen apathischen Abfolge von drei Schritten, angestrengtem Blinzeln, hilfloser Fokussierung der Beschilderung und vernehmlich räusperndem Weitertraben zu unterziehen. Unter kommerziellen Gesichtspunkten mag das als problematisch gelten, da der gemeine Kunstkäufer hier eine kollektive Wertschöfpung erfährt, die er nicht kaufen kann, da ihre Manifestierung  am Einzelstück in der eigenen Sammlung ausbleiben wird. Höchstens die Tatsache selbst, einst Teil von Scorpio’s Garden gewesen zu sein, könnte hier einen spekulativen Reiz auslösen. Kommerz spielt in dieser Zusammenstellung aber offensichtlich viel weniger eine Rolle als die theatralische Beweisführung für den unhemmbar sprießenden und wuchernden Berliner Kunstbegriff. Ich nehme an, dass kein Kurator außerhalb des autonomen Feldes der Temporären Kunsthalle diesen Mut aufgebracht, geschweige denn Unterstützung gefunden hätte – respektiere aber Roepstorff selbst, da sie diese Chance voll ausschöpfte. Sie fand Künstler und Künstlerinnen, die ihr herausgebrochene Ecken auf den Boden legten, Milchtüten in Vitrinen stellten und bemalte Kanapees auf die Rampe. Im Infotext heißt es: „Die für Scorpio’s Garden ausgewählten Werke reflektieren den dynamischen Wettkampf, der die Kunstszene in Berlin auszeichnet, und nehmen Motive von Entwicklung und Wachstum, Verfall und Dekadenz, von Kontrolle, Spontaneität und Sexualität auf.“. Man gab sich also Mühe, hatte aber keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es handelt sich um eine illustrierende Sammlung exotischer Kreaturen, die nicht mehr als ihre Herkunft gemeinsam haben – die hier abstrakt thematisiert wird.

Die Strukturierung des Raumes

Die Rampe inmitten des Innenraumes erscheint zunächst als spannender Raumteiler, der einem einsamen Salatblatt auf der Mettwurststulle ähnlich arrangiert wurde, um dem ganzen etwas Struktur zu geben. Weit gefehlt! Abgesehen von den rein funktionellen Aspekten, dass nämlich darunter ein Mini-Kino und darüber noch einige Kunstwerke mehr Platz finden, gipfelt die ziellose Rampe nämlich in der konzeptionellen Punktlandung einer Aussichtsplattform. Auf dieser stehend, wird mit simpelsten Mitteln eine kritische und distanzierte Sichtweise eröffnet, wie wir sie aus dem botanischen Garten kennen. Die dort unten arrangierten Kunstwerke werden endgültig in das absurde Licht einer kollektiven unsicheren Gegenwartskunst respektive einer bunten Ansammlung wuchernder Fremdkörper gerückt. Nur mit dem Unterschied, dass wir hier weniger verführt werden, die Zusammenstellung als objektiv und sachlich zu verstehen. Oder auch: „Ceci n’est pas une œuvre d’art de Berlin.“.

Fazit

Scorpio’s Garden ist ein Bastard: die Austellung bewegt sich erzählerisch zwischen kritischem Feuilleton und offenem Dadaismus. Trotz der unschuldig präsentierten wie auch ungewöhnlichen Transparenz des zugrunde liegenden Konzeptes, suggeriert der Raum in seiner abstrakten Reduktion und Zurückhaltung eine tückische Neutralität – eine klare erkennbare Wertung bleibt aus. Die Kunst übertönt sich gegenseitig und wird schließlich vom missverständlichen Hintergrundsummen des bewussten Berliner Raum-Zeit-Kontextes geschluckt. Dennoch erschienen mir das Bestreben Grundgedanke, Einzelobjekt und Raum in gut abgestimmte Kongruenz zu legen als bemerkenswert, was für mich persönlich eine selten tiefe Auseinandersetzung möglich machte.
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