James Turrell | Kunstmuseum Wolfsburg


Exkursion

Bei „James Turrell – The Wolfsburg Project“ handelt es sich um die in Deutschland bisher größte Ausstellung des US-amerikanischen Lichtkünstlers. James Turrell, geboren 1943 in Los Angeles, studierte Psychologie, Astronomie, Mathematik und Kunst. Er nennt seine Werke „reine Physik“ und bedient sich z.B. bei seinen großräumlichen „Ganzfeld Pieces“ Erkenntnissen aus pyschologischen Experimenten. So nüchtern sie konstruiert sein mögen, – Turrells Werke wirken, auf schwer beschreibbare Weise aber sehr intensiv. In Wolfsburg wurde seine bislang größte Installation realisiert. Eine Werkschau, die sich auf sein seit 35 Jahren laufendes „Roden Crater Project“ konzentriert, rundet die Ausstellung ab.

Ganzfeld Piece (Foto: Florian Holzherr)


Man betritt die Ausstellung durch einen Gang, in dem noch Stehtische stehen (wie vergessen). An der Wand steht sehr groß der Name der Ausstellung „James Turrell – The Wolfsburg Project“. Er lässt keinen Zweifel daran für wie prestigeträchtig Wolfsburg das Ganze hält. Das große Hauptexponat heisst tatsächlich übrigens „Bridget’s Bardo“ und hat mit Wolfsburg nichts zu tun.

Über eine Galerie geht es in die zentrale Halle des Museums, einen 40mx40mx16m Kubus mit weissen Wänden und einer Decke aus Glas und Stahl. Zwei Körper füllen diesen Raum: ein kleiner, auf dem man steht (auf ihm befindet sich noch ein kleinerer schwarzer Kubus, die Filmbox) – und ein riesiger weisser Einbau, den man über eine Brücke erreicht. Dies ist das Hauptexponat und Mittelpunkt der Ausstellung: das 700m² große „Ganzfeld Piece“. An der Seite des Einbaus sieht man, was zunächst wie eine bunte Projektion wirkt – bis man näher kommt und feststellt, dass es die Öffnung ist, durch die man die Installation betritt. Das geht allerdings nur in kleinen Gruppen, und erst nachdem man sich Schutzüberzügen über die Schuhe gezogen hat, um das komplett weisse Innere des Exponats zu schützen. Dann taucht man über eine große, steile Rampe in einen völlig symmetrischen, ansonsten komplett leeren, 11m hohen Raum ein: den „viewing space“ (angeblich ist der Raum in zwei Teile gegliedert: „viewing space“ und „sensing space“. Ich konnte diese Teilung aber nicht wirklich feststellen). Man nimmt seine begrenzenden Wände nur als Lichtflächen wahr. Alles scheint zu leuchten – Wand, Boden, Rampe – alles ist fast nahtloses farbiges Licht, das langsam changiert. Es fühlt sich ein wenig an, als würde sich der Raum auflösen. Tatsächlich ist die Wand, auf die die Rampe zuläuft, nicht dort wo man sie vermutet, sondern 5-6m weiter – ein Bewegungssensor mit Alarm verhindert, dass man ins nichts (ins Licht) fällt. Man verliert etwas die Orientierung. Wer die Rampe wieder hinaufblickt, ist im ersten Moment verblüfft, denn durch die Öffnung sieht die Wand in der Haupthalle intensiv farbig aus. Tatsächlich wirkt die weisse Wand des Hauptraums durch den Kontrast mit dem bunten Licht wie dessen Komplementärfarbe – eine optische Täuschung. Während man im blauen Licht steht, wirkt die Öffnung orange – ist alles pink, wirkt die Öffnung dunkelgrün, etc.

Roden Crater – Modell (Foto: artnet.com)

 

Wer die Installation verlässt, tritt durch eine kleine Vorhalle (die zur Erholung der Besucher nicht weiter gestaltet wurde) in die Haupthalle. Hier sind Silbergelatine-Abzüge von Luftaufnahmen des Roden Craters sowie Schnittmodelle seines Innenlebens zu sehen. James Turrell baut in Arizona seit 35 Jahren einen vulkanischen Krater zu einem einzigartigen Lichtkunstwerk aus, indem er höhlenartige Räume mit genau platzierten Tageslichtöffnungen in den Krater gräbt. Die Modelle, aus Gips und Bronze gebaut, sind meist zweiteilig mit etwas Abstand aufgestellt, so dass man zwischen ihnen gehen und sich dieses räumliche Erlebnis gut vorstellen kann. Leider wirkt hier alles etwas rümpelig – die Stellwände sind lieblos platziert und in einer Ecke steht noch eine halb abgebaute Bühne mit Technik. Die Beleuchtung ist entweder ausgeschaltet (nur gräuliches Licht von oben durch das Glasdach) oder an sich spärlich und kalt. Hier unten gelangt man auch in das Innere des dunklen Kubus, auf dem man die Halle zuerst betreten hatte: Dort befindet sich eine weitere Lichtinstallation, ein „Wedgework Piece“. Dieses spielt ebenfalls mit der räumlichen Wahrnehmung, macht aber aufgrund der mangelnden Farbdynamik und dem kleineren Format nach „Bridget’s Bardo“ einen eher unspektakulären Eindruck.

An den Modellen vorbei geht es in einen schmalen, länglichen Ausstellungsraum an einer Fensterfront mit sehr ruhigen, monochromen Grafiken, weiteren Luftaufnahmen und Modellen. Ein seperater Abschnitt im hinteren Teil ist ganz einem „Tall Glass Piece“ gewidmet, das man auf einer Bank sitzend betrachten kann: eine rechteckige, farbige Fläche, deren Farben sich ständig verändern. Auch das wirkt zunächst wie eine Projektion. Es handelt sich um eine hinter der Wand montierte Glasscheibe, hinter der LEDs leuchten. Dieses Werk ist im Grunde zweidimensional und konkurriert daher nicht (wie das „Wedgework Piece“) mit dem Hauptexponat, sondern entwickelt seine eigene Faszination. Es sind nur Farben, die sich verändern, aber man schaut eine ganze Weile hin. Wenn man wollte, könnte man 200 Stunden lang der programmierten Abfolge zusehen, ohne dass sich eine Farbzusammenstellung wiederholt.

Über eine Treppe im Hauptausstellungsraum kommt man zurück auf die Platform, unter der sich das „Wedgework Piece“ befindet. Im darauf befindlichen Vorführungsraum werden Aufnahmen des Roden Craters als Slide-Show und Stummfilm (auf mehreren Wänden des Kubus gleichzeitig) den Besuchern auf Sitzsäcken präsentiert. Leider sind die Filme und Bilder in etwas niedriger Auflösung. Auf der Platform gibt es ausserdem 2 freistehende Fernseher mit Kopfhörern, auf denen man dokumentarische Filme über James Turrell sehen kann.

Roden Crater Luftaufnahme (Foto. www.orbit.zkm.de9

Turrells Installationen bestehen zwar angeblich „nur aus Licht“ – technisch benötigen sie jedoch LEDs und moderne Steuerungstechnik, weisse Farbe und Glas.

Im Ganzfeld Piece wurden 250 Zumtobel LED-Lichtlinien Hilio und 24 LED-Scheinwerfer Olympus mit über 30.000 LEDs eingesetzt. Mehr als 65.000 Helligkeitsdifferenzierungen und Millionen von Farbdifferenzierungen sind in Kombination mir der DMX-Steuerungstechnik möglich. Die hier eingesetzte Lösung stellt den absolut letzten Stand der Technik dar.“ (Zitat: lichtnews.de)

Dass der Eingang zum Ganzfeld Piece sowie das Tall Glass Piece zunächst wie Projektionen wirken, lässt sich durch die Konstruktion der Wände erklären: Statt mit voller Stärke die Öffnung zu rahmen, laufen die Wände keilförmig spitz zu und sind direkt an der Öffnung nur wenige Millimeter dick. So wird über die Räumlichkeit der Wand hinweggetäuscht.

Das Kunstmuseum Wolfsburg baut ganz entscheidend auf die spektakuläre Wirkung des Hauptexponats. Dieses ist nach den genauen Spezifikationen des Künstlers aufgebaut und verdankt seine Konzeption und Ausführung nur ihm. Leider enttäuscht das Museum in seiner eigenmächtig ausgeführten Präsentation der restlichen Werke Turrells. Die wenig attraktive, scheinbar nicht durchdachte Werksschau wirkt wie ein nachträglicher Einfall. Sie ist sogar überwiegend schlecht ausgeleuchtet, was bei der Werksschau eines Lichtkünstlers besonders negativ auffällt. Aber trotz der zweitklassigen Präsentation sind Turrells Werke phänomenal, bewegend, fantastisch! Sie wirken hier deplaziert – das Kunstmuseum Wolfsburg hat sich ihrer im Grunde nicht würdig erwiesen. „The Wolfsburg Project“? Eher nicht. Man besucht nicht Wolfsburg wegen James Turrell, sondern die James Turrell Ausstellung trotz Wolfsburg. Und es lohnt sich voll und ganz, weil der Inhalt stimmt. Turrells Werke kriegt selbst Wolfsburg nicht klein.