R.B. Kitaj. Obsessionen

Exkursion

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In der Sonderausstellung ‘R.B. Kitaj (1932 – 2007). Obsessionen‘ zeigt das jüdische Museum Berlin vom 21. September 2012 bis zum 27. Januar 2013 eine Retrospektive zum Gesamtwerk des amerikanischen Künstlers Ronald Brooks Kitaj.

Die Ausstellung ist in vielerlei Hinsicht eine Sonderausstellung. So zeigt das Museum die erste umfassende Retrospektive seit 1997 und seit dem Tod des Künstlers im Jahr 2007. Besonders ist auch die Kunstausstellung im eigentlich historischen jüdischen Museum. Dabei sei Kitaj für ein jüdisches Museum besonders interessant, “weil er der einzige Künstler ist, der sich je Gedanken gemacht hat, über das Konzept einer jüdischen Kunst”, sagt Cilly Kugelmann, Programmdirektorin des Jüdischen Museums. Auch der Umfang der Ausstellung ist besonders. Kurator Eckhart J. Gillen musste das immense Werk des Künstlers sichten, wobei ihn Tracy Bartley, die ehemalige Assistentin des Künstlers, unterstützte. Schließlich galt es mehr als 100 Werke und Artefakte auf kleinem Raum sinnvoll zu ordnen.

Gillen gliedert das Werk Kitajs in drei Obsessionen:  Erstens die Auseinandersetzung mit seiner jüdischen Identität, mit Fokus auf ein Leben in der Moderne und in der Diaspora. Zweitens Kitajs Verhältnis zu Frauen, zu Erotik und Sexualität und die Beziehung zu seiner früh verstorbenen Ehefrau Sandra Fisher. Drittens der Künstler als obsessiver Büchersammler. Die drei Obsessionen werden unterteilt in zehn themenbezogene Ausstellungsräume und Kabinette. Die Werke sind dabei den thematischen Räumen zugeordnet, welche wiederum mehr oder weniger chronologisch angeordnet sind. Auf diese Weise durchwandert der Besucher die stilistische und inhaltliche Entwicklung des Künstlers, von der frühen Phase der Pop Art über die Entdeckung des eigenen Jüdisch-Seins, den Umgang mit einem Leben in Diaspora, der Beschäftigung mit Idolen und Freunden bis zum Umgang mit Kunstkritikern und dem Tod der Ehefrau. Dabei zeigt die Ausstellung nicht nur Gemälde, sondern auch Bücher, Dokumente und Skizzen.

Verantwortlich für die Ausstellungsgestaltung zeichnet sich das Züricher Büro ‘HolzerKobler Architekturen‘. Die Ausstellungsgestalter meistern die schwierige Aufgabe, die einmalige Architektur des Museumsgebäudes von Daniel Libeskind als Ausstellungsraum zu nutzen. So lassen sie Liebeskinds ‘Voids‘ – spitze, in Beton gegossene Leerräume – teilweise sichtbar und kaschieren sie nur dort, wo sie die Konzentration auf die Kunstwerke stören würden. In der Ausstellungsgestaltung wird aber auch deutlich, dass das jüdische Museum kein Kunstmuseum ist. Die schiere Menge an Ausstellungsobjekten auf kleinem Raum führt zu einer sehr engen Hängung. Das Leitsystem verläuft prominent, teilweise in großen Lettern direkt über Werken. Zudem wird der didaktische Anspruch des Hauses unterstrichen, indem Sitzgruppen – Infotische und Hocker, die Hintergründe zu Leben und Arbeiten des Künstlers geben – den Ausstellungsraum garnieren. Dazu gibt es dreifache Information zu den Werken: über Labels neben den Objekten, ein Begleitbuch und einen Audioguide mit Kommentaren des Künstlers. Die Besucher bewegen sich in einem begehbaren Katalog. Sie stehen einer überwältigenden Masse an Werken und Informationen gegenüber und haben wenig Raum dafür, die wundbaren, intelligenten, poetischen Gemälde Kitajs einfach zu genießen.

“Was wir mit dieser Ausstellung beabsichtigen, ist einen grandiosen, interessanten und einen der wichtigsten Künstler des 20. Jahrhunderts endlich (…) oder überhaupt in Deutschland bekannt zu machen”, sagt Cilly Kugelmann. Ob dafür gleich die ambitionierte Präsentation von Kitajs umfangreichem Gesamtwerk nötig war ist fraglich. Dennoch bleibt der Paukenschlag, mit dem die Ausstellung Kitaj in das Bewusstsein der deutschen Kunstwelt rückt und hoffentlich andere Institutionen zu kleineren, feineren, konzentrierteren Schauen über den Künstler anregt.

Zunächst zieht die Ausstellung aber weiter. Am 19. Juli öffnet sie in der Hamburger Kunsthalle und läuft dort bis zum 27. Oktober 2013.

Text: Thilo Kasper


1. Allgemeine Informationen

Titel: R.B. Kitaj (1932 – 2007). Obsessionen
Ort: Jüdisches Museum, Lindenstraße 9-14, 10969 Berlin
Zeitraum: 21. September 2012 bis  27. Januar 2013

Thema: Die Ausstellung zeigt das Lebenswerk des amerikanischen Malers R.B. Kitaj. Es ist die erste Retrospektive nach Kitajs Freitod 2007.

Ziel/Schwerpunkt: Im Mittelpunkt der Ausstellung steht die Suche des Künstlers nach jüdischer Identität und kultureller Selbst-Verortung. Der Besucher wird mit auf eine  Reise genommen durch die unterschiedlichen Schaffensphasen Kitajs. Seine Arbeiten sind geprägt von autobiografischen Zügen und behandeln zentrale Fragen des 20. Jahrhunderts.

Objekte: eine Vielfalt an Gemälden, Druckgrafiken und Zeichnungen

Zielgruppe: Liebhaber der figurativen Malerei

Kurator: Eckhart Gillen, Kulturprojekte Berlin
Ausstellungsgestaltung: Holzer Kobler Architekturen (Zürich/Berlin)
Architektur: Das Jüdische Museum besteht im Wesentlichen aus zwei Gebäuden: dem barocken Altbau und dem Neubau von Daniel Libeskind


2. Analyse

2.1 Klassifikation

Kategorie: Kunstausstellung
Ausstellungsraum: Innenraum
Zeitraum: Sonderausstellung


2.2 Präsentation

Didaktisch: Originale mit dem Ziel eine Geschichte, Zusammenhänge und Zeit zu erklären


2.3 Gestalterische Mittel

Objektpräsentation:
Es handelt sich um unterschiedliche Gemälde, die in schlichten Holzrahmen an der Wand entlang präsentiert werden. Trotz der Vielfalt ist die Ausstellung durch die genau überlegte Anordnung sehr klar und übersichtlich.

Inszenierung | Raumstrukturierung | Vermittlungskonzept:
Die Ausstellung wird thematisch inszeniert und strukturiert. Einführend findet man im Treppenhaus eine großformatige Fotoinstallation, die Kitajs “Yellow Studio” in Los Angeles zeigt.

Kitajs Lebenswerk wird in 13 thematische Einheiten gegliedert und in unterschiedlichen Räumen präsentiert. Von dem  Verhältnis zu Freunden und Vorbildern, über die Frage nach jüdischer Identität bis hin zur Auseinandersetzung mit Politik, Geschichte und Frauen.

Drei Obsessionen erkennt der Betrachter im Leben und im künstlerischen Schaffen des Künstlers wieder – welche der Ausstellung den Titel gaben. Zum Einen die obsessive Suche nach jüdischer Identität, zum Zweiten die leidenschaftliche Faszination an der Literatur und zum Dritten seine obsessive Beziehung zu Frauen.

Zwei Räume beschäftigen sich mit dem “Freundeskreis”. Hierzu zählen unter anderem der Maler David Hockney, der Schriftsteller Philip Roth und der Rabbiner Albert Friedlander ebenso wie die intellektuellen Vorbilder Franz Kafka, Hannah Arendt und Sigmund Freud.

In dem Raum “Analytiker seiner Zeit” beschäftigt sich Kitaj im surrealistischen Stil mit dem Vietnamkrieg, der Ermordung Kennedys und mit den Auswüchsen von Gewalt und Korruption in den USA. In zwei weiteren Räumen befasst sich Kitaj mit dem eigenen “Jüdischsein”.

»Katalonien und Diaspora« und »Die Bibliothek als Heimat als Diaspora« sind zwei Räume, in denen unterschiedliche Werke Kitajs sein Konzept der Diaspora verbildlicht.  Die zwei Ausstellungsräume »Tate Krieg« und »Rückzug« sind einer weiteren Phase des Künstlers gewidmet: dem Triumph und der großen Enttäuschung, die er in Europa mit seiner Retrospektive erleben musste.

Jeder Ausstellungsraum steht für sich, dem Besucher ist es nicht möglich den Umfang der gesamten Ausstellung mit einem Blick zu erfassen. So kann man sich nur auf eine Schaffensphase des Künstlers konzentrieren. Mit jedem weiteren Raum erschließt sich einem nach und nach das gesamte Lebenswerk des Künstlers und man bekommt einen sehr persönlichen Einblick in das Leben von Kitaj. Letzteres wird durch das auditive Vermittlungskonzept unterstützt. Im Audioguide spricht Kitaj selbst und kommentiert seine Werke. Für Kitaj war die Kommentierung und Deutung der eigenen Werke Bestandteil seiner Kunstpraxis.

Die umfangreiche Sammlung von privaten Texten und Bildern, die als Inspirationsquelle und Arbeitsmaterial für Kitas Werke dienten, werden auf 20 Tischen präsentiert. Jeder Tisch steht dabei in einem engen Zusammenhang mit einem der Gemälde. Diese Hintergrundinformationen, das Begleitheft sowie die Audioführung ermöglichen den Besuchern auf unterschiedlichen Ebenen einen einzigartigen Zugang zur Bildwelt des Künstlers.

Ein Teil aus seiner umfangreichen Bibliothek ist ebenfalls in der Ausstellung zu sehen. Literarische Werke liegen Kitajs Schaffen zu Grunde – aus seinen Büchersammlung stamme Anregungen und Bildmotive.

Die vielfältigen Arbeiten setzen eindringliche Pointen. Die gesamte Ausstellung ist durch R.B. Kitajs intensive Kompositionen von einer starken Farbigkeit geprägt. Allein die Wirkung der Bilder stehen im Fokus.

Am Ende des Rundgangs wird im Kabinett in einer langen Glasvitrine der Mensch und Künstler Kitaj anhand von Fotografien von Lee Friedlander gezeigt. Die Biografietafel an der Wand ist von der Farbwelt der Gemälden des Künstlers unterlegt.


3. Bewertung

3.1 Qualität

Die Werke werden angemessen präsentiert. Die enge Hängung der Bilder ist durch die thematische Strukturierung gerechtfertigt. Die einzelnen Werke bilden in Ihrem Zusammenspiel eine thematische Einheit. Durch ihre Farbigkeit wirken die Gemälde anmutend und originell.

3.2 Fragenkatalog

Was ist der Anlass der Ausstellung?
Nach Kitajs Tod im Jahr 2007 zeigt das Jüdische Museum Berlin die erste Retrospektive des amerikanischen Künstlers nach 14 Jahren. Es stand erstmals das umfangreiche persönliche Archiv des Künstlers aus seinem »Yellow Studio« in Los Angeles zur Verfügung.

Wie ist die Wechselwirkung der Einzelteile zum Gesamten?
Die einzelnen Gemälde von R.B. Kitaj stehen für sich. Eine Wechselwirkung der Einzelteile zum Gesamten wird durch die thematisch strukturierte Ausstellungsgestaltung ermöglicht. Das Betrachten aller Arbeiten eines Raumes gibt dem Besucher die Möglichkeit sich einer Lebensphase von Kitaj zu nähern. Alle 130 Arbeiten geben zusammen einen umfangreichen Einblick in das Leben Kitajs.

Wie werden Bedeutungen kommuniziert?
R.B. Kitajs Kommentare zu seinen Kunstwerken über den Audioguide, sowie die Hintergrundinformationen auf den Tischen, die die einzelne Arbeiten erklärend hervorheben, kommunizieren die Bedeutung.

Welche atmosphärische Stimmung entsteht?
Betritt man die Ausstellung und hört sich den ersten Kommentar des Künstlers zu seiner Arbeit an, so ist man bereits in die Welt von Kitaj eingetaucht. Das Leben des Künstlers wird einem sehr persönlich nahegebracht – seine Gedanken, seine Freunde, seine Lebenssituationen. Trotz der intimen Stimmung und den vielen privaten Eindrücken, fühlt sich der Besucher niemals als “Eindringling”. Er wird von dem Künstler selbst auf eine Reise durch sein Leben genommen.

Wie verläuft die Dramaturgie des Ausstellungsrundganges?
Der Ausstellungsrundgang verläuft chronologisch und ist thematisch geordnet.

Wie werden Themen und Inhalte umgesetzt?
Die Werkschau des Künstlers wird in 13 Themen geordnet und in einzelnen Räumen präsentiert. Jeder Raum hat seinen eigenen Titel. Informationen zu den unterschiedlichen Gemälden kann der Besucher einem Begleitheft entnehmen. Außerdem werden auf Tischen Hintergrundinformationen zu einzelnen Gemälden ausgelegt.

Was sind die Kernaussagen, welche Erkenntnisse können gewonnen werden?
R.B. Kitaj versuchte das Konzept einer jüdischen Kunst zu begründen. Im Mittelpunkt seines Lebenswerk steht die “jüdische Frage” und die lebenslange Suche nach einer Position als jüdischer Künstler. Durch die Ausstellung wird deutlich, was Kitaj inspirierte und aus welchen Elementen und nach welchen Vorbildern er seine Werke komponierte

Lohnt sich ein zweiter Besuch?
Kitajs Lebenswerk ist so umfangreich, dass sich ein zweiter Besuch durchaus lohnt!


Text:
Marjam Fels

Bilder:
Where the Railroad leaves the Sea, 1964 © R.B. Kitaj Estate. Museo National Centro de Arte Reina Sofia, Madrid 2012
Sieben von bisher 37.500 Besuchern in der Ausstellung »R.B. Kitaj (1932-2007) Obsession« © Jüdisches Museum Berlin, Foto: Jens Ziehe