Ai Weiwei – Evidence

Exkursion

Titel: Ai Weiwei, Evidence
Ort: Martin-Gropius-Bau | Niederkirchnerstraße 7 | 10963 Berlin
Zeitraum: 3. April 2014 bis 13. Juli 2014
Thema: Die Ausstellung “Evidence” zeigt politische sowie autobiografische Werke und Installationen des chinesischen Konzeptkünstlers Ai Weiwei. Es ist die weltweit größte Einzelausstellung.
Ziel/Schwerpunkt: Im Mittelpunkt der Ausstellung stehen seine Arbeiten, die sich mit gesellschaftsverändernden Prozessen und aktuellen politischen Ereignissen innerhalb Chinas auseinandersetzen. Sie hinterfragen unsere Wertvorstellung und vermitteln historische und oft ironische Botschaften. Es werden bereits bestehende, als auch speziell für den Martin-Gropius-Bau gefertigte Kunstwerke präsentiert.
Objekte: Es werden unterschiedliche Installationen sowie filmische als auch fotografische Werke gezeigt.
Zielgruppe: Liebhaber der Gegenwartskunst und der Politik

Impressum
Veranstalter: Gereon Sievernich, Martin-Gropius-Bau Berlin | Thomas Oberender, Berliner Festspiele
Ausstellungsarchitekt: Christian Axt
Ausstellungsmanagement: Sabine Hollburg, Filippa Carlini, Elena Montini
Architektur: Martin Gropius, Heini Schmieden
Grafik: doppelpunkt Kommunikationsdesign GmbH

Analyse
Träger: Ausstellungshaus, das von den Berliner Festspielen betrieben wird
Kategorie: Kunstausstellung
Ausstellungsraum: Innenraum, stationär
Zeitraum: Wechselausstellung
Budget: XL

Präsentation
Es handelt sich um unterschiedliche Installationen, die in der 1. Etage des Martin-Gropius-Bau in 18 Räumen präsentiert werden. Die Raumbeschaffenheit, die thematische Gliederung, sowie die gezielte Anordnung der Installationen im Raum führen zu einer sehr klaren und übersichtlichen Einzelausstellung. Neben den Objektinstallationen werden Videoarbeiten sowie Fotoserien gezeigt. Die Schau hat den Charakter einer Retrospektive und umfasst zum Beispiel auch ältere Arbeiten aus der New Yorker Zeit des Künstlers oder seine Filme zur Entwicklung der Stadt Peking.
Die Arbeiten hinterfragen gesellschaftliche Vorstellungen und regen somit zur Diskussion und Auseinandersetzung an. Es werden Bezüge zu zeitgenössischem Denken geschaffen und ein fast schon szenischer Charakter zieht sich durch die Ausstellung. Durch die gezielte Inszenierung von einzelnen Objekten im Raum, schafft es Ai Weiwei neue Zusammenhänge herzustellen (zum Beispiel bei der Installation “Stools”). Mit einem kritischen fast schon ironischen Blick auf historische und politische Ereignisse in China nimmt er den Betrachter mit auf eine spannende Reise.

Inszenierung | Raumstrukturierung | Thematische Struktur | Vermittlungskonzept
Der Ausstellungsname “Evidence”, zu Deutsch: der Beweis, verweist bereits auf den dokumentarischen und archivarischen Charakter der Werkschau. Die Eingangshalle des Martin-Gropius-Bau wird von dem chinesischen Konzeptkünstler unteranderem als Präsentationsraum gestaltet. Von der Decke hängt eine Skulptur aus 150 Fahrrädern, die an den jungen Chinesen Yang Jia erinnern soll, dessen Mordprozess in ganz China Aufsehen erregt hatte. Er wurde nach einem angeblichen Fahrradklau zum Tode verurteilt. Es macht den Anschein, als würden die aus Marmor nachgebildete Überwachungskameras, eigens für die Eingangshalle angefertigt, den Besucher beobachten. Es sind Abbildungen solcher Kameras, mit denen Ai Weiwei’s Atelierwohnung in Peking von der Polizei beobachtet wurde. Betritt man die eigentliche Einzelausstellung empfangen einen 6000 Holzhöcker, die dicht nebeneinander stehend den kompletten Lichthof bedecken. Diese ersten drei Installationen geben die Einführung in die thematische Struktur der Ausstellung und skizzieren Ai Weiwei’s künstlerische Arbeitsweise. Das Readymade und dessen Look prägt seine Werke und spiegelt sich in einigen wieder. Die Vermittlung erfolgt also über den Gegenstand. So findet ein schneller und direkter Zugang zu seinen Werken statt. Die Ausstellung ist thematisch strukturiert und besteht aus drei Hauptthemen, die bereits in den ersten drei Installationen sichtbar werden:
Zum einen beschäftigt er sich mit politischen Ausschreitungen, deren Ereignisse und Fragen in seinen Werken illustriert werden und sich durch ihre Einfachheit auszeichnen. Zu dieser Gruppe gehören neben der Fahrradskulptur (“Very Yao”) unteranderem die zwei Werke zum Erdbeben in Sichuan (“Forge”, “Forke Bed”), die sich mit Misswirtschaft und Korruption auseinandersetzen. Hierauf verweist sich eine Arbeit aus nachgebildeten Armierungseisen, die weltweit in sämtlichen Bauten verwendet werden, um die Baustruktur zu stützen, aber durch falschen Einsatz den Einsturz vieler öffentlicher Gebäude zur Folge hatte. Sie sind zum Teil aus Marmor repliziert oder werden zu einem skulpturalen Werk zusammengefügt.

Die zweite Gruppe von Werken verarbeitet Objekte aus Chinas Vergangenheit zu Kunstwerken. Sie setzt sich mit Tradition, Wertfragen und gesellschaftsveränderten Systemen auseinander. Die Hockerinstallation (“Stools”) besteht aus sechstausend dicht nebeneinander stehenden Dreifuß-Holzhockern, die auf dem Land seit der Ming-Zeit (1368-1644) Verwendung finden. Ein eindrucksvolles, pixelartiges Werk entsteht, welches Ausdruck einer Jahrhunderten alten Ästhetik des ländlichen Chinas ist. Es erzählt von der vorindustriellen Geschichte und dem Verschwinden der Tradition im Turbokapitalismus. Die Holzhocker werden von den Leuten, die vom Land in die Städte ziehen, als nicht mehr brauchbare Möbel zurückgelassen. Plastikstühle ersetzen die traditionellen Holzhocker. Neben der Hockerinstallation sind die alten Keramikgefäße der Han-Dynastie, die Ai Wieweit mit Autolack überzogen ließ, eine weitere Arbeit. Jede der Acht Vasen wurde mit einer anderen Farbe lakiert – Farben, die bei deutschen Luxusautos in Peking derzeit sehr beliebt sind (“Han Dynastie Vases with Auto Paint”). Mit überdecken der alten Patina lässt sich das Original nicht mehr als antikes Artefakt erkennen, verbirgt aber dennoch hinter den neuen Oberflächen die Geschichte und die Komplexität des Originals. Ein interessanter Gegensatz zwischen Form und Oberfläche entsteht, der zwei Zeiten kollidieren lässt; das neue, konsumbesessene China und das alte, traditionelle China. Es werden Fragen zur Wertvorstellung aufgeworfen.

In der dritten Werkgruppe verarbeitet Ai Weiwei Autobiografisches. Die Arbeiten setzen sich mit den Repressionen, denen Ai Weiwei in den letzten Jahren ausgesetzt war auseinander. 2011 wurde er von der chinesischen Staatsmacht illegal für 81 Tage in die Zelle eines Geheimgefängnisses eingesperrt. Rund um die Uhr brannte Licht, er durfte die Zelle nicht verlassen und wurde von 2 Wächtern Tag und Nacht bewacht. Der Besucher kann in eine Nachbildung der Zelle hineintreten (“81″). Die Handschellen, mit denen er während seiner Haft an einen Stuhl gefesselt war, bildet Ai Wieweit in edler, höchst kostbarer Jade nach. Die Plastikkleiderbügel aus dem Gefängnis hat er in Kristall und Stahl rekonstruiert und die Taxifensterkurbel aus Glas nachbauen lassen. Durch die Nutzung kostbarer Materialien, kommuniziert Ai Weiwei mit Chinas Kulturgeschichte. Alltagsgegenstände werden in neue Kontexte gesetzt.

Einige Raumwände sind mit 30000 Schuldscheinen tapeziert. Diese Schuldscheine stellte Ai Weiwei zahllosen Menschen aus, als sie ihm Geld zur Begleichung einer angeblichen Steuerhinterziehung leihen. Auch hier wird deutlich, dass die Vielfalt – die Masse – bei Ai Weiwei’s Werken inhaltlich begründet ist, sie ist Teil der Aussage. Ai Weiwei schafft es Massen geschickt zu choreografieren. So entsteht eine raumfüllende Landschaft aus Hockern, ein Labyrinth aus Armierungseisen oder eine Tapete aus Schuldscheinen – Uniformität durch reine Masse.

Die Vermittlung findet visuell statt. Sie ist schlicht, direkt und auf den Punkt gebracht. Zu jedem Werk gibt es eine Tafel, die den Besucher über das Werk informiert: Titel, Zeitraum, verwendete Materialien, eine Einordnung des Werkes in den politischen beziehungsweise historischen Kontext sowie eine Werkerläuterung. So sind die Werke und Gedanken des Künstlers direkt und leicht zugänglich. Die Tafeln sind in schwarz, grau gehalten und sind gut leserlich. Der Text ist in deutsch, englisch und chinesisch zu lesen. Das die Ausstellung in ihrer Gestaltung schlicht gehalten ist, passt zu den Werken – die Installationen haben genug Raum und sprechen für sich. Sichtbare Sicherheitsabsperrungen gibt es bei der Einzelausstellung nicht. Der direkte Zugang wird dadurch verstärkt. Es kann ein unmittelbarer Austausch zwischen den Besuchern und Ai Weiwei’s Werken stattfinden. Die Präsentation der Werke ist für den Künstler von großer Wichtigkeit. Es wird deutlich, dass er sich über die Ausstellungsgestaltung bewusst Gedanken macht und sie in sein künstlerisches Schaffen mit einbezieht. Die Einzelausstellung ist in einem intensiven Austausch mit dem Künstler konzipiert worden.

Jede einzelne Installation wird effektvoll in Szene gesetzt. Ob direkt auf dem Boden, in Glasvitrinen oder auf Podesten; die Arbeiten werden bewusst platziert und präsentiert. Wenn künstliches Licht zum Einsatz kommt, dann um die Werke in Ihrer Aussage zu unterstützen. Die Ästhetik und Schönheit der einzelnen Materialien wird durch die Lichtsetzung von oben verstärkt. Auch das Starre und Denkmalhafte, das viele Arbeiten charakterisiert, wird durch den Lichteinsatz unterstrichen. So wirken die Armierungseisen aus Marmor noch majestätischer, der Schatten wird Teil der Installation. Die Schattenfuge zwischen Podest und Boden bei der “Han Dynastie Vases with Auto Panik” Installation erzeugt einen Eindruck des Schwebens, der Fokus wird auf die 8 Vasen gelenkt. Das Licht lässt die lackierten Vasen schillern und glänzen, wodurch sie edler und wertvoller erscheinen.

Die Ausstellung “Evidence” ist für jeden faszinierend, der an Gegenwartskunst interessiert ist. Man bekommt einen detaillierten Einblick in das künstlerische Schaffen und das Leben des chinesischen Konzeptkünstlers. Durch die plakativen, direkten und leicht zugänglichen Kunstinstallationen ist die Ausstellung für Jedermann verständlich und ein Besuch wert.
“Kunst ist für mich freie Meinungsäußerung, eine neue Art zu kommunizieren. Es geht nicht darum, in Museen auszustellen, Dinge an die Wand zu hängen. Kunst sollte in den Herzen der Menschen leben. Und normale Leute sollten sie genauso verstehen können wie jeder andere.” Ai Weiwei, SPIEGEL-Gespräch: “Ich sollte mich schämen”, Ausgabe 47/2011

Bilder
Gao Yuan: Porträt Ai Weiwei
Marjam Fels: Very Yao, Rebar in Marmor, Stools, Han Dynastie Vases with Auto Paint, Handschellen, Kleiderbügel

Text
Marjam Fels (Advanced Studio Class New Media)