Schwindel der Wirklichkeit

Exkursion

Schwindel der Wirklichkeit, Akademie der Künste

1. Allgemeine Informationen

Titel: Schwindel der Wirklichkeit
Web: http://www.davidchipperfieldinberlin.de/
Ort: Akademie der Künste Hanseatenweg 10, 10557 Berlin
Zeitraum: 17.09. – 14.12.2014
Thema: Konstruktion und Dekonstruktion von Wirklichkeit im ‚Digitalen Zeitalter‘
Ziel: Neue Medien sind Gegenstand der Untersuchung in der Ausstellung um kritisch eine Neupositionierung des Betrachters zwischen Kunstwerk und Wirklichkeit zu beleuchten.
Objekte: 41 Objekte / Künstler
Zielgruppe: Digital-Affines Publikum, jedes Alter
Direktoren / Kuratoren: Mark Buttler, Anke Hervol, Wulf Herzogenrath, Niels van Tomme
Architektur: westliche Nachkriegsmoderne, eröffnet 1960, Werner Düttmann, Sabine Schumann
Ausstellungsgestaltung, Realisation: Simone Schmaus, Jörg Scheil, Mount Berlin
Ausstellungsgrafik: Heimann und Schwantes

2. Analyse

2.1 Klassifikation
Träger Hauptstadtkulturfonds, Karin, Uwe Hollweg Stiftung, Yamaha Music Europe GmbH, Gesellschaft der Freunde der Akademie der Künste, Kunststifung NRW
Kategorie thematische Kunstausstellung
Ausstellungsraum innen, fest installiert
Zeitraum temporär

2.2 Präsentation
Präsentationsräume keine baulichen Veränderungen, temporäre Stellwände
Ausstellungsobjekte Originale
Didaktik keine Leitsystem durch das Hauptthema, Konglomerat aus Arbeiten und weiteren Angeboten
Interaktion Selbstinitiative des Besuchers ist grundlegend, Ausstellung erschließt sich dadurch
Szenisch Fokus auf ausgestellte Objekte, keine eigene Inszenierung der Ausstellungsräume

2.3 Gestalterische Mittel
Objektpräsentation hauptsächlich in der Vertikalen, geweißte Wände
Raumstrukturierung Stellwände strukturieren didaktisch Laufwege; teils offene Flächen, Boxen in denen ausgestellt wird und engere Laufwege die gangartig an Objekten heranführen.
Besuchermanagement Am Eingang bietet sich ein längerer Einleitungstext an um Zugang zum Thema zu bekommen. Innerhalb der Ausstellung präsentieren sich Arbeiten selbst. Ein offener Raum in dem der Besucher seiner intuitiven Aufmerksamkeit folgen kann eröffnet sich.

2.4 Vermittlungskonzept
Dem Besucher werden verschiedene Zugänge zum Thema zur Verfügung gestellt.
Neben der Hauptausstellung gibt es Talks, Schauspiel, Tanz und Konzerte die weitere Facetten des Themas aufarbeiten. Das Thema Schwindel der Wirklichkeit erschließt sich durch die stark zum Partizipieren einladenden Arbeiten vor allem beim Besucher selbst. Im Moment der Reflexion kann die Kernfrage nach der Verortung und Topografie von Wirklichkeit subjektiv aufgeklärt werden.
Um den Besucher auf diesen Moment hinzuführen wird eine Publikation mit vielen Statements, Interviews und Besprechungen angeboten. Hinweisschilder geben in den Ausstellungsräumen nur klassisch dezent Eckdaten der Arbeiten wieder.
Themenstruktur Gruppenbildung nach Objektinhalten (Zeit/Raum, Militär, Medien, Gamification, Täuschung, Experiment, Retrospektive)
Farbkonzept zu leicht grau-gelb getöntes Weiß an Wänden / Decke, Holzboden (Parkett); Editorial im schlichten schwarz/weiß, zusätzlich fast RGB-Gelb (r248, g249, b000) mit laboratorischem Charackter
Lichtkonzept Laufwege sind dezent beleuchtet, wodurch sich Gassen bilden und die stärker beleuchteten Arbeiten mehr zur Geltung kommen. Neutralweißes Halogenlicht auf den Laufwegen mit geringer Beleuchtungsstärke, hohe Beleuchtungsstärke auf Objekte bei gleicher Farbtemperatur.

3. Bewertung

3.1 Gesamtbeschaffenheit
Dauerhaftigkeit temporäre Stellwände aus Leistenholz, vertäfelt mit geweißten MDF Platten
Nutzen adequate Nutzung der Stellwände zu als nicht temporär wahrgenommenen Räumen
Erscheinung schlicht, minimal, budgetorientiert
Anziehungskraft Inszenierung stellt eine sich sehr zurücknehmende Präsentationsfläche dar, klassisch schlicht gehalten, wenig aussagend und präsent
Ressourcengebrauch wenige Elemente (Licht, Stellwände / temporäre Räume, Bildunterschriften)

3.2 Fragen
Anlass? Colleteral Murder, Geheimdienstaffären, Internetgestützer Journalismus, mediengefluteter Alltag
Schlüsselobjekte? ‚Visibility Machines‘ (Fotografien von US-Militärbasen aus großer Distanz verschwimmen zu ästhetischen Farbfeldern), ‚Ernste Spiele 3‘ (Gamerecording der vom US-Militär zu trainingszwecken gebrauchten Militärsimulation ‚Americas Army 3‘ ) , ‚Newstweek‘ (Umleitung der Internetverbindung um nur noch gefakte Informationsportale anwählbar zu machen).
Sind diese angemessen präsentiert? Nein, sind recht unauffällig integriert.
Interagieren Ausstellungsstücke miteinander? Nicht direkt. Zusammenhänge der Hauptobjekte erschließen sich selbst aus dem Gesamtkontext.
Welche Rolle spielen Ausstellungsobjekte? Da sie sich unverdächtig in das Gesamtbild eingliedern beanspruchen sie wenig Geltung als Schlüsselobjekte die zum Thema hinführend sind.
Atmosphäre? Nüchterne Ausstellungshalle, reduziert, konzentriert auf Exponate.
Wie werden Themen kommuniziert? In der Ausstellung nur sehr spärlich, doch gibt es eine Ausstellungszeitung die Informiert.

Résumé

Schwindel der Wirklichkeit war ein dringend zu bearbeitendes Thema – ein Jahr nach den ersten Enthüllungen über die Praxis der Geheimdienste in einer digitalen Welt. Ein erster groß angelegter, ernster Versuch Medienkompetenz an ein breites Publikum zu vermitteln. Dies ist auch Ansatzweise gelungen, doch ist im Rückblick zu bemängeln, dass um die Wahrnehmung einer gesellschaftlichen Verantwortung konsequent zu verfolgen, ein deutlicheres Hinweisen auf Sachverhalte ausblieb. Zwar konnte durch die Auswahl digitaler Ausstellungsobjekte praktisch vermittelt werden wie leicht es ist mit Digitalem Wirklichkeit zu verfälschen . Doch hätte die Ausstellung mit Information über die gezeigten Erscheinungen der digitalen Wirklichkeit wesentlich an Substanz gewonnen. Denn gerade in der Ausstellung wurde Wirklichkeit als eine stark subjektive Ambivalenz dargestellt, die sich in der unsrigen, so manipulationsanfälligen, digitalen Informationsgesellschaft noch weiter akkumuliert. In der Ausstellung, ein Raum der Überlegung, hätte es mehr Orientierungsmöglichkeiten zum weiteren Fortdenken gebraucht. Denn vieles, was in einer digitalen Form ist, hat das Problem der Austauschbarkeit, Veränderbarkeit, Vergänglichkeit, Beliebigkeit. Daraus ensteht ein Aufmerksamkeitsverlust um sich intensiv mit einem Exponat auseinander zu setzten. Das war hier das Ziel. Bei den sehr wenigen analogen Ausstellungsstücken entwickelte sich die Informationsarmut jedoch nicht zu einem Vermittlungsproblem. Wohlmöglich weil diese nicht ihrem Habitus entrissen wurden. Wogegen die digitalen Arbeiten einen ihnen entsprechenden, digital anmutenden Ausstellungsraum gebraucht hätten. Mehr Mut zum Bruch mit dem konventionellem Inszenieren künstlerischer Arbeiten hätte das Erleben der Ausstellung wesentlich greifbarer für die wichtigste Zielgruppe, den Digital Natives gemacht. Schade bei einem solch wichtigen Thema – ein transparent, demokratisches Bewusstsein der Gesellschaft zu bilden. Das sich inzwischen durch das Metamedium Digitalität gebildet und seinem Medium bewusst sein muss um handlungsfähig zu sein.

Bildnachweis: Akademie der Künste, „Schwindel der Wirklichkeit“, 2014, © Roman März.
Text Sören Aurich