Michael Sailstorfer – B-Seite

Exkursion

Titel: Michael Sailstorfer – B-Seite
Ort: Haus am Waldsee, Argentinische Allee 30, D-14163 Berlin – Zehlendorf
Zeitraum: 5. September – 9. November 2014
Thema: In der Ausstellung sind Arbeiten von Michael Sailstorfer aus den vergangenen zehn Jahren zu sehen, die bisher nur selten oder noch nie gezeigt wurden.
Objekte: Es werden unterschiedliche Skulpturen und räumliche Installationen sowie fotografische Werke gezeigt.
Zielgruppe: Liebhaber der Gegenwartskunst und zeitgenössischer Bildhauerei
Veranstalter: Haus am Waldsee
Kategorie: Kunstausstellung
Ausstellungsraum: Innenraum, ehemalige Villa
Umsetzung: Dr. Katja Blomberg und Michael Sailstorfer
Zeitraum: Wechselausstellung
Führung durch Dr. Katja Blomberg
Gefördert durch das Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf von Berlin; aus Mitteln des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten; Freunde und Förderer des Hauses am Waldsee e.V.

Präsentation
Das Haus am Waldsee ist eine Villa aus den 20er Jahren, umgeben von einem Ausstellungspark. Beim Betreten des Geländes entdeckt man zunächst eine gelbe Bronzeskulptur von Tony Cragg ‘Outspan’, und eine Installation von Michael Sailstorfer – eine seiner Bushaltestellen der fünfteiligen Serie „Wohnen mit Verkehrsanbindung“, die seit 2010 im Skulpturenpark des Hauses am Waldsee ausgestellt wird. Die Ausstellungsfläche im Haus erstreckt sich auf zwei Etagen, die ehemaligen Räumlichkeiten der Villa wurden als Ausstellungsfläche umfunktioniert. Unmittelbar im Eingangsbereich sind das Treppenhaus und der Empfang, daneben auch ein Café. Gegenüber vom Empfangstresen hängt ein Regal mit den Katalogen der vorherigen Ausstellungen. Über eine unscheinbare Tür neben dem Empfang findet man Zugang zu den Ausstellungsräumen. Der Besucher betritt den ersten Raum und steht unmittelbar vor der Skulptur “Drei falsche Perser” (220 x 280 x 135 cm). Drei Teppiche wurden hier in grober Verarbeitung zu einer Form gebracht, die an das Werk ‘le miracle’ des Bronze-Künstlers Constantin Brancusi erinnert. Auf provokative Weise stellt Sailstorfer hier eine Transformationen von Alltagsobjekten dar. Die Skulptur wurde auf einen großen braun lackierten Kasten platziert, welcher mit eingelassenem Sichtfenster ein helles Stück Teppich zeigt. Neben einer Wandinstallation, dem Kleiderständer namens “Antenne”, nimmt die Skulptur den ganzen Raum ein. Zugleich dient der erste Raum als Ein- und Ausgang und Treppenaufgang. Im Treppenaufgang ist auch ein Einführungstext zur Ausstellung zu sehen, der mit Folie an die Wand kaschiert wurde.

Die Ausstellung wurde zusammen mit der Direktorin Katja Blomberg geplant. Da Sailstorfer selbst bei dem Aufbau nicht anwesend war, wurde das räumliche Konzept von ihm in einem Modell des Hauses entworfen und später dann in die Ausstellungsräume übertragen. Die meisten seiner hier ausgestellten Arbeiten sind Leihgaben von verschiedenen Privatsammlungen. Eine weitere beeindruckende Installation findet sich im großen Raum im Erdgeschoss. Hier überquert der Besucher zunächst eine Kegelbahn. In dem Werk mit dem Namen „Mit dem Kopf durch die Wand“ verwerteten Sailstorfer Bodendielen des Ateliers seiner alten Schule wieder und verarbeitete die Dielen zu einer beinahe getreu großen Kegelbahn, die sogar funktionsfähig ist und während der Ausstellung benutzt werden kann.

Im gleichen Raum findet sich hinter der Fensterfassade eine Leuchtreklame. Das Werk mit dem Namen “Junger Römer” wurde draußen vor den Scheiben angebracht wurde und strahlt in den Raum, der dennoch hell durchleuchtet ist. Die Leuchtreklame des VEB Stern-Radios in Berlin, welche der Sender nicht an Sailstorfer verkaufen wollte, baute der Künstler für sich nach, umgewertet zu einer Leuchtskulptur à la Bruce Nauman. Im Nebenraum ist eine derbe museale Installation aufgebaut, ein Archiv, das aktiv vom Besucher genutzt werden kann. Die Arbeit nennt sich “Kässbohrer-Museum”, quasi ein Museum im Museum. Ausgangspunkt der Arbeit ist ein ausrangierter Schulbus der Marke Kässbohrer, den Sailstorfer nahe seines Geburtsorts gefunden hat. Nach der letzten Fahrt hatten Kinder das Gefährt mit Figuren, Landschaften und Alltagsszenen bemalt. Mit einem Winkelschleifer hat Sailstorfer alle Motive aus dem Blechmantel des Fahrzeugs herausgeschnitten, in Aluminiumrahmen gesetzt und in einem 27-teiligen Magazin verwahrt. Sailstorfers zerlegter Bus hütet im “Kässbohrer-Museum” die Erinnerungen der jahrelang durch das bayerische Land chauffierten Kinder. In ironischer Weise spielt der Bildhauer hier mit dem Gedanken, Orte und Ereignisse in Bildern zu konservieren und zu archivieren. Die Arbeit gehört nun zu einer Privatsammlung in Mailand.

In einem offenen Raum neben dem Archiv findet man den berühmten Teppich von Sailstorfer, der aus Polizeiuniformen gewebt wurde. Dieser liegt auf einem Kachelboden mit dominantem Muster.

Weiter geht es in der oberen Etage des Hauses:
Über dem Treppenaufgang findet man zunächst eine kinetische Skulptur mit Motor: “Cumulus” – von einem Baustrahler angestrahlte, mit Luft gefüllte Traktorschläuche stellen die Sonne und die Wolken dar. Die Reifenschläuche – hängen an einem T-Träger und rotieren langsam, ein knackendes Geräusch entsteht. Die Direktorin versicherte uns, dass die Installation trotz der bedrohlichen Geräusche sicher sei. Im gleichen Raum hinten findet man das Gegenstück, ein Symbol des Mondes. Eine runde Platte mit rundem Schnitt, der einen Halbmond zeichnet. Die Platte ist mit 30 Haken versehen, an denen einst Melonen hingen, wegen des Gestankes beim Verfaulen wurden diese jedoch entfernt. Die Arbeit ist mit Spotlight beleuchtet, somit lassen sich die Struktur des Materials und die vertrockneten Melonenkerne erkennen.

Ebenfalls im ersten Stock befindet sich die aktuellste Arbeit von Michael Sailstorfer, die auch als Motiv für die Postern und Flyer der Ausstellung diente. Sie besteht aus Skulpturen und fotografischen Arbeiten, die eine Unterwasser-Skulptur des Künstlers dokumentieren. Sailstorfer ließ große Buchstaben aus Styropor im Meer versinken und dokumentierte dies fotografisch. Die unterschiedlichen Werke zu diesem Projekt sind auf zwei Räume verteilt. Im Raum werden eine Anzahl an ausgewählter Fotos der Buchstaben unter Wasser, sowie Unterwasserskulpturen und Installationen der Styropor-Buchstaben gezeigt.

Die Buchstaben, die Sailstorfer in der Karibik versunken hatte, sind immer noch unter Wasser. Somit wird der Unterwasserbereich zu einem inoffiziellen Ausstellungsraum, den er in dieser Ausstellung sichtbar macht.

Die Führung durch Frau Blomberg unterstützte den Ausstellungsbesuch, sie gab viele Hintergrundinformationen zum Künstler, zu seinen Werken und auch zur Zusammenarbeit mit ihm. Das Lebenswerk von Michael Sailstorfer ist in dieser Ausstellung angemessen präsentiert,
der klassische Begriff der Skulptur wird hier konsequent neu befragt und erweitert. Die überfüllten Räume werfen Fragen auf und platzieren den Besucher förmlich in die Installation seiner Werke. Vor allem bei der Kegelbahn im Erdgeschoss wird die Übertreibung mit überdimensionalen Objekten im Raum deutlich, die teilweise sogar die Eingänge halb versperren, und die Ausstellung somit nicht barrierefrei machen. Der Besucher wird selbst gezwungen, über das Kunstwerk zu laufen.

Michael Sailstorfer bringt Dinge und Prozesse des täglichen Lebens in ungewöhnliche Beziehungen zueinander. Er platziert Gegenstände in einen neuen Kontext und stellt seine Kritik an der Kunst und der Bedeutsamkeit eines Objektes auf humorvolle Art und Weise dar, indem er Gegenstände umfunktioniert.

Die Ausstellung am idyllischen Waldsee ist in jedem Fall ein empfehlenswertes Erlebnis. Die Einzelausstellungen widmen sich stets einem Künstler aus Berlin. Vor allem in Zusammenhang mit der informativen Führung entsteht so ein intensiver Einblick in das Lebenswerk eines Künstlers. Ein genügt ein Besuch, um den Umfang aller dargestellten Arbeiten zu begreifen.

Bilder und Text Sabine Kelka