Thomas Demand | Neue Nationalgalerie


Exkursion

Passend zum 20. Jahrestag des Mauerfalls und dem 60. Jubiläum des Grundgesetzes zeigt die Neue Nationalgalerie aktuell die Ausstellung „Thomas Demand. Nationalgalerie“, deren 40 Arbeiten sich ausschließlich mit Orten „der jüngeren Gesellschaft, Kultur und Geschichte unseres Landes“ (Zitat Ausstellungsbroschüre) beschäftigt.

Auf den ersten Blick ist die räumliche Unterteilung des großen Ausstellungsraumes der Neuen Nationalgalerie durch schwere, teilweise fast deckenhohe, bühnenähnliche Vorhangwände in Grau-, Blau- und Schlammtönen charakteristisch für das Design der Ausstellung. Mithilfe einer unsichtbaren Trägerkonstruktion sind davor die C-Prints gehängt und scheinen somit vor dem Stoff zu schweben, ohne dessen Faltenwurf zu beeinflussen. Eine unkonventionelle, jedoch sehr passende Lösung, wie ich finde, vor allem, da die vertikalen Linien vieler Exponate mit dem vertikalen regelmäßigen Faltenwurf der Vorhänge sehr gut harmonieren (siehe untenstehendes Photo).

Der grobe, haptisch interessante B1-Wollstoff regt zum Anfassen an, schafft in den entstandenen Räumen eine gedämpfte Behaglichkeit, die die Ruhe der Motive in den Arbeiten unterstützt und überzeugt durch den angenehmen materiellen Kontrast zu den C4-Hochglanz-Prints. Scheinbar nicht bedacht wurde das Problem, dass die Exponate permanent mit einem Fusselschleier überzogen sind, was bei der bekannten statischen Anziehungskraft von Acryl vorhersehbar gewesen wäre.

Außerdem werden einige Exponate an einer an der Wand installierten Furnierwand präsentiert, die auch durch ihre vertikale Maserung, sowie den thematischen Bezug zur Arbeit »Wiese« besticht. Erst auf den zweiten Blick überfordert das Furnier als weiteres Material im Stoff-Marmor-Fliesen-Labyrinth. Auch die Hängung der Arbeit »Spüle« vor den Marmor der Neuen Nationalgalerie wirkt gelungen (siehe untenstehendes Photo).

Als Beschilderung und gleichzeitig Legende zu den Werken dienen Texte von Botho Strauß, die in jeweils zwei aufgeschlagene Exemplaren (jeweils in deutscher und englischer Sprache) des Ausstellungskataloges, präsentiert in tischähnlichen Vitrinen neben dem jeweiligen Werk, zu betrachten sind.

Ihre leicht schräg gestellten Beine geben den Vitrinen eine moderne, verspielte, sehr leichte, freundlich-lockere Gebrauchsoptik und muten mit der mattschwarzen Lackierung und ihrer Gradlinigkeit fast selbst als Papiermodelle an.

Die Beleuchtung findet größtenteils durch den natürlichen Lichteinfall durch die deckenhohen Glasfassaden des Mies-van-der-Rohe-Baus statt, unterstützt durch punktuelle, szenische Beleuchtung der einzelnen Exponate.

Text: Timo Schmitt

 

„Am Anfang steht man vor Bäumen. Ein paar Sonnenstrahlen scheinen durchs dichte Blättergrün, märchenmäßig mysteriös. Ein knapp fünf Meter breites Deutschlandklischee ist diese ‘Lichtung’ und ein Beweis, mit welchem Hintersinn Thomas Demand seine Schau in der Neuen Nationalgalerie gehängt und konzipiert hat. Anderswo findet man unter der Adresse ‘Nationalgalerie’ das stolz gehegte, oft pompös gerahmte und kunsthistorisch abgesegnete Erbe einer Nation. Thomas Demand aber, dieser Bildhauer, der sich die Welt aus Papier nachbastelt und sie dann im Foto festhält, hat den Begriff wörtlich genommen: Unter dem Titel ‘Nationalgalerie’ stellt er Bilder aus, die diese Nation ganz ohne Kunstanspruch produzierte.“
(Gärtner, Barbara: Das Erbe der Nation. in: Art Magazin, Berlin 17.09.2009, www.art-magazin.de, letzter Zugriff: 09.02.2010)

Thomas Demands bisher größte Einzelausstellung, die vom 18. September 2009 bis zum 17. Januar 2010 in der Neuen Nationalgalerie zu sehen war, korrespondiert mit ihrem Thema – Deutschland –  in Bezug auf den Ausstellungszeitpunkt, der ins selbe Jahr fällt wie die Feierlichkeiten zur  Gründung der Bundesrepublik Deutschland vor 60 Jahren und dem Mauerfall vor 20 Jahren.

Bei den ca. 40 gezeigten Arbeiten handelt es sich um Fotografien von Papiermodellen bekannter Schauplätze gesellschaftlicher und  politischer Ereignisse der jüngeren deutschen Geschichte seit 1945.

Es fällt auf den ersten Blick gar nicht so direkt auf, dass die Ausstellung genau genommen schon vor dem Betreten der Neuen Nationalgalerie mit dem draußen angebrachten Schriftzug „Nationalgalerie“ beginnt. Durch das Weglassen des „Neue“ und der damit einhergehenden Betonung des Nationalen, sowie der Hängung selbst, wird auf das Thema der Ausstellung und allgemein auf die Frage nach nationaler Identität also schon vor dem Betreten der Räumlichkeiten eingeleitet.

Auch im Innenraum beginnt die Ausstellung unmittelbar nachdem man die Neue Nationalgalerie betritt, da der Ticketschalter sich nicht am Eingang, sondern wie gewohnt im mittleren Bereich des Obergeschosses befindet.

Die Hängung der Bilder vor einen dicken Wollstoff ist sehr ungewohnt, funktioniert aber erstaunlich gut, da der Stoff durch seine grobe Beschaffenheit und den gleichmäßigen vertikalen Faltenwurf ein gutes Gegengewicht zu den stark spiegelnden Abzügen und den abgebildeten glatten und filigranen Papiermodellen  darstellt.

Interessant ist darüber hinaus auch, dass durch die Stoffbahnen, die in Höhe und Farbigkeit variieren, eine neue Raumaufteilung im eigentlichen Raum geschaffen wird, wodurch das an sich lichtdurchflutete, riesengroße Obergeschoss eine ganz neue Ausstrahlung, einen kleinteiligen, fast intimen Charakter  bekommt.

Durch die Haptik und Farbigkeit der Vorhänge, die zum Teil durch Holzfurnierwände ergänzt werden, entsteht zum Teil eine gedämpfte, „heimische“ Atmosphäre, die mich spontan an das „typische Wohnzimmer der 60er und 70er Jahre“ erinnert. Dadurch wirken die Bilder, die durch ein verdecktes Hängungssystem aus Aluminiumträgern vor den Stoffen zu schweben scheinen, trotz ihrer Klarheit zum Teil recht schwer.

Demands Arbeiten sind sehr schlichte Vitrinen aus anthrazit gestrichenem Holz mit Texten von Botho Strauß beigestellt, die in Form großer aufgeklappter weißer Bücher (Ausstellungskatalog) jeweils in deutsch und englisch präsentiert werden.

Durch ihre sehr klare, glatte Erscheinung ergänzen sie die Bilder gut, ohne sich in den Vordergrund zu drängen und muten selbst ein wenig wie Modelle aus Papier an.

Das Licht, welches größtenteils durch die deckenhohen Glasfassaden von außen kommt, wird nur ganz dezent durch einzelne Spots auf die Fotoabzüge ergänzt.

An einigen Punkten der Ausstellung bildet das Zusammentreffen der Vitrinen, Furnierwände, Stoffbahnen und Bilder mit den Marmorsäulen der Neuen Nationalgalerie, dem Bodenbelag und den großen Glasfronten einen starken Materialmix, der allerdings nicht störend, sondern sehr gewollt wirkt. Das in jedem Fall mutige Ausstellungskonzept ist durch die sehr konsequente Umsetzung gut gelungen.

Durch den offensichtlich sehr bewussten Einsatz einiger weniger unkonventioneller, an sich recht dominanter Materialien zur Beeinflussung der Ausstellungssituation hat Kurator Udo Kittelmann die Ausstellung als schlüssiges Gesamtkunstwerk inszeniert.

Ich selbst habe mich beim Besuch der Ausstellung immer wieder dabei ertappt, dass durch meine Faszination über die Perfektion, mit der die Modelle gebaut wurden, der eigentliche Inhalt der Bilder – sie als Phantombilder von „Tatorten“ deutscher Geschichte zu lesen – in den Hintergrund getreten ist.

Text: Léon Giogoli